Freitag, 11. Januar 2008

Kostensteigerungen und Qualitätsverluste dank Fehlentscheidungen

Ärztliche Zulassungsbeschränkungen ohne Rücksicht auf chronisch Kranke
(SGB V, § 2a)

Das neue Jahr bringt so manche "Neuerung" mit sich. Heute stelle ich Ihnen ein Beispiel vor, wie die reformierte Gesetzgebung und Fehlentscheidungen von sog. Zulassungsgremien der Kassenärztlichen Vereinigung zu weiteren Kostensteigerungen im Gesundheitswesen führen können:

In den vergangenen Jahren wurde das Gesundheitswesen zwar drastisch teuerer, die Versorgung für Patienten hingegen zunehmend schlechter. Viele Regelungen werden auf dem Rücken der Patienten ausgetragen und etliche Entscheidungen sind unüberlegt, stützen eine bestimmte Lobby und produzieren nur Kosten.

Zu diesem Thema möchte ich Ihnen darüber berichten, wie die Zulassungsausschüsse - in diesem Fall in NRW - chronisch Kranke schikanieren, den Verwaltungsaufwand der Ärzte erhöhen, voraussichtlich die Anzahl der stationären Einweisungen steigern und in der Gesamtsumme die Kosten unseres Gesundheitssystems in die Höhe treiben.

Ein Fall - und dennoch ein Fall, der für viele andere steht.....:

Da es zu wenig Lungenfachärzte gibt, hat der Chefarzt in einem Krankenhaus kommunaler Trägerschaft seit vielen Jahren eine Zulassung, als Lungenfacharzt tätig zu sein. Seit Jahresanfang hat nun der zuständige Zulassungsausschuß die Praxistätigkeit beschränkt, so dass keine Medikamentenverschreibungen und Verordnungen für eine ambulante Bronchoskopie, sowie stationäre Behandlung mehr veranlasst werden dürfen. Seit vielen Jahren hat dieser Arzt einen festen Patientenstamm, ist engagiert, sehr beliebt und für seine Patienten über das normale Maß hinaus ansprechbar.

Viele seiner Patienten sind schwer und chronisch lungenkrank. Einen Patienten nehme ich hier als Beispiel, da hier die Absurdität der Entscheidung des Zulassungsausschusses obsolet wird:

Herr Muster, chronisch krank (Asthma bronchiale mit COPD-Anteilen, Schweregrad 3, regelmässig wiederkehrende Infektexazerbationen, häufige Krankenhausaufenthalte (rund 15mal in einem Zeitraum von 3 Jahren, durchschnittliche Aufenthaltsdauer: 14 Tage).

Seine Bronchien füllen sich innerhalb weniger Wochen mit sehr zähem Sekret, trotz zahlreicher verschiedentlicher Therapieversuche. Das zähe Sekret hat die Eigenschaft sich nach und nach mit Bakterien zu besiedeln, so dass sich die Bronchien in einem ständigen Entzündungszustand befinden. Dies führt dann wiederum zur Verstärkung der Asthma- und Atembeschwerden und drastischer Verringerung der körperlichen Leistungsfähigkeit verbunden mit Arbeitsunfähigkeitszeiten bis hin zu schweren Anfällen. Medikamentös ist der Patient austherapiert.

Einzige Hilfe bekommt der Patient über regelmässige "therapeutische" Bronchoskopien. Dabei wird das festsitzende Sekret abgesaugt und damit quasi der Nährboden für Bakterien entfernt. Ist die in der Regel immer vorhandene bakterielle Besiedelung kritisch, wird eine Antibiotikabehandlung eingeleitet. Mit diesen Maßnahmen konnten Krankenhausaufenthalte, schwere Anfälle und die Arbeitsunfähigkeitszeiten deutlich reduziert werden.

Seit Anfang diesen Jahres hat nun der Zulassungsausschuß der Krankenkassen folgende Änderungen vorgenommen:

Die Vollmachten des Lungenfacharztes wurden eingeschränkt, d.h. er darf zwar weiter im Krankenhaus eine Facharztpraxis betreiben (eben weil zu wenige Lungenfachärzte für die Versorgung zur Verfügung stehen) , allerdings darf er keine Rezepte mehr ausstellen und seine Patienten nicht mehr zur Bronchoskopie ins eigene Krankenhaus überweisen. Er darf nun nur noch Patienten übernehmen, wenn diese zuvor von einem Kollegen untersucht und dann direkt zu ihm wieder überwiesen werden, was ja automatisch passiert, da alle Kollegen auch schon vorher überlastet waren......

Zielsetzung dieser Maßnahmen ist - soweit bekannt -, die Reduzierung der ambulant durchführbaren minimal-invasiven Eingriffe in Krankenhäusern und die Sicherung der Einkunftsquellen für niedergelassene Fachärzte! Obwohl es für diesen Bereich kaum Qualitätsstandards gibt und quasi Ärzte ohne gesonderte Fortbildungen minimal-invasive Eingriffe vornehmen dürfen, haben in Zeiten der Kostenstreichungen für Privatpraxen, niedergelassene Ärzte diese "Verdienstmöglichkeit" entdeckt und zunehmend ausgebaut.

Zu diesem Thema findet man dann auch - gerade von Patientenvertretungen (im Internet berichtet) - immer wieder Zwischenfälle, welche im Krankenhaus hätten vermieden werden können oder weniger tragisch geendet wären.

Denn sobald Magen-, Darm- und Lungenspiegelungen bei Risikopatienten durchgeführt werden, kann es schwierig werden. Bei manchen Patienten weiß man vor einer Untersuchung noch nicht, dass man es ggf. mit einem Risikopatienten zu tun hat.
Da bei diesen Eingriffen gerne Sedativa verwendet werden bzw. teilweise auch verwendet werden müssen, besteht neben den Risiken einer begleitenden Gewebsentnahme (Nachblutungen u.ä.) auch das Risiko von Atem-, Herz- und Kreislaufproblemen. Im Falle einer ambulanten Spiegelung können diese Patienten ohne Probleme stationär aufgenommen und beaufsichtigt werden. Bei Eingriffen in Privatpraxen kann die Nachsorge medizinisch nur eingeschränkt stattfinden. Bei instabilen Patienten besteht die Gefahr, dass eine Überweisung ins Krankenhaus aus Imagegründen vermieden wird.

Herr Muster ist als Asthmatiker bei einer Bronchoskopie immer auch eine Risikopatient. So gibt es Kliniken, welche bei Herrn Muster aufgrund seiner Asthmaerkrankung eine Bronchoskopie mit Hinweis auf die Risiken verweigerten !

Herr Muster ist nicht der einzige Betroffene, sondern die Sachlage trifft quasi alle chronischen Atemwegserkrankten, welche in regelmässiger ärztlicher und stationärer Behandlung sind.

  1. Es gibt generell zu wenig Lungenfachärzte ==> lange Wartezeiten für einen Termin.
  2. Es gibt zu wenige Praxen, welche ambulante Bronchoskopien durchführen
  3. Neuregelung führt nun dazu, dass 2 Lungenfachärzte aufgesucht werden müssen, wenn Herr Muster bei seinem Lungenfacharzt bleiben möchte.
  4. Wenn bei Herrn Muster eine Bronchoskopie angezeigt ist, muss nun - ob sinnvoll oder nicht - eine Untersuchung beim Facharztkollegen stattfinden, d.h. die Arztkosten werden in die Höhe getrieben.

Das bedeutet für Herrn Muster:
Die Situation, dass sich die Atemwege zusetzen entwickelt sich zwar allmählich, ist aber weder vorhersehbar, noch irgendwie in Wochen "berechenbar". Also entsteht die Situation akut.
Nun ist er gezwungen, einen Termin bei einem Facharzkollegen seines Lungenfacharztes zu vereinbaren, dort - mit seinen Beschwerden - stundenlang ins Wartezimmer zu sitzen - um sich dort untersuchen zu lassen, dann von dort eine Überweisung zu seinem bisherigen Lungenfacharzt zu bekommen, bzw. eine Überweisung für eine Bronchoskopie.

D.h. all diese Abläufe dauern zusätzlich Zeit (Arbeitsausfall bei Herrn Muster) und verursachen zusätzliche Kosten.

Die Folge ist:
Von der Ärztevereinigung verordnetes Ärztehopping führt für chronisch Kranke zu gehäuften stationären Aufenthalten und Behandlungsmehrkosten:

Die zweite und wahrscheinlichere Variante ist die, dass Herr Muster, weil er die Anstrengungen des ihm indirekt "verordneten" Ärztehoppings nicht mehr bewältigt, sich vom Hausarzt gleich stationär einweisen lassen muss, mit dem Ergebnis, dass eine ambulante Behandlung in einen stationären Aufenthalt umgewandelt wird, verbunden mit entsprechend höheren Kosten.

FAZIT:
Den chronisch Kranken wird ohne Rücksicht auf ihre Situation höhere Belastungen auferlegt. Sie müssen nun einen ihnen völlig fremden Facharztkollegen aufsuchen, dieser "darf" dann an den bisherigen Lungenfacharzt zur Weiterbehandlung überweisen. Werden ambulante Eingriffe oder stationäre Aufenthalte notwendig, wird es für die chronisch Kranken ebenfalls umständlicher. Da der bisherige Lungenfacharzt keine Medikamentenverschreibungen vornehmen darf, muss hierfür wieder der andere Facharztkollege aufgesucht werden........

Dabei ist im SGB vorgesehen, dass chronisch Kranke angeblich einen besonderen Schutz erfahren sollen:

SGB V § 2a Leistungen an behinderte und chronisch kranke Menschen: Den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen ist Rechnung zu tragen.

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